Netzwerke: Aus Konkurrent:innen werden Partner:innen
Netzwerke sind uns vertraut und fremd zugleich. Sie sind uns vertraut, weil wir in persönlichen Netzwerken aufwachsen und leben: Die eigene Familie, Freunde und Bekannten, die Kollegen am Arbeitsplatz – sie sind alle Vertreter sozialer Netze und jede und jeder in unserer Gesellschaft ist davon umgeben. Fremd erscheint es uns dagegen, Netzwerke bewusst als Organisationsform wahrzunehmen und sie in dieser Form konsequent zu nutzen und zu gestalten. Das ist aber genau die Aufgabe, wenn Organisationen, Verbände oder Unternehmen für sich und ihre Ziele Netzwerkstrukturen aufbauen wollen. Netzwerke im Dienste von Unternehmungen entwickeln sich längst nicht so selbstverständlich und nebenbei wie es zuweilen im persönlichen Bereich abläuft. Sogleich tauchen Fragen unter den Beteiligten auf: Was verbindet uns eigentlich? Wer steuert das Netzwerk? Wie lässt sich der Konsens aushandeln? Welchen Nutzen hat ein Netzwerk für die einzelnen Partner?
Der vorliegende Beitrag will hier weiter helfen und skizzieren, wie sich Netzwerke aufbauen lassen. Als Fachjournalistin und Kommunikations-beraterin bin ich immer wieder selbst umgeben von Netzwerkstrukturen, habe über professionelles Netzwerkmanagement Artikel verfasst, mich selbst darin fortgebildet und auch Netzwerke gesteuert oder beraten. Immer wieder habe ich dabei festgestellt, dass sich jedes Netzwerk erst mal selbst entdecken muss. Das heißt: Die Partner müssen zuallererst selbst erkennen, dass das Netzwerk eine geeignete Organisationsform ist, um das gesetzte Ziel zu erreichen. Und sie müssen bereit sein, ihre Kompetenzen in die Gemeinschaft einzubringen im Vertrauen darauf, dass der Nutzen später zurückfließen wird. Vor allem aber müssen sie den Gedanken verabschieden, dass sich alles von selbst entwickeln wird und stattdessen bewusst die Zusammenarbeit anstoßen, aufbauen, gestalten und steuern.
Vom Maß der Verbindlichkeit
In der wissenschaftlichen Debatte hat sich die Definition von Jörg Sydow, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin, weitgehend durchgesetzt. Demnach zeichnen sich Netzwerke über stabile und eher kooperative, weniger kompetitive Beziehungen zwischen zwei oder mehreren Unternehmen aus. In der Praxis bewegen sich Netzwerke zwischen zwei Polen: Auf der einen Seite können sie über eine feste Struktur und hohe Verbindlichkeit verfügen, auf der anderen Seite gilt ein informeller Zusammenschluss ohne starres Regelwerk ebenso als Netzwerk. Je nach Organisationsgrad ist ein Netzwerk durch eine sehr offene Struktur und wenig Verbindlichkeit geprägt – beispielsweise als Interessensgemein-schaft. Der Ein- oder Ausstieg ist in diesem Fall leicht möglich, für die Zusammenarbeit gibt es nur wenige Vereinbarungen. Netzwerke können sich aber auch stärker strukturieren und organisieren. Der Grad der Verbindlichkeit lässt sich aber auch erst entwickeln und dann stufenweise festlegen – beispielsweise durch Vereinbarungen zur Kooperationen, vertragliche Regelungen oder gar gemeinsame Geschäftsstellen. Meiner Ansicht nach hat die Netzwerk-Idee gerade durch das hohes Maß an Flexibilität seinen besonderen Reiz. Beide Wege sind möglich – vorausgesetzt, dass man sie bewusst einschlägt und immer wieder auf den Prüfstand stellt.
Identifikation mit gemeinsamen Zielen
Zentral für das Gelingen aber ist, dass sich die Beteiligten stark mit dem Netzwerk identifizieren. Nur eine vage Zielvorstellung zu haben oder bloß vom funktionalen Nutzen der Mitgliedschaft überzeugt zu sein, reicht da nicht aus – vielmehr geht es darum, dass für jeden Partner das Gemeinsam offensichtlich ist und allesamt geradezu stolz sind dazu zu gehören. „Werde attraktiv!“ lautet daher eine der allerersten Regeln beim Aufbau eines Netzwerkes. Das Prinzip stammt, so der Wissenschafts-publizist Michael Gleich, letztlich aus der Natur und ist Teil der Selbstorganisation von Organismen. Aus einem zufällig entstanden Rinnsal wird irgendwann genau dort ein breiter Gebirgsbach – eben weil dort zuvor schon etwas Wasser floss. Nur wo bereits etwas existiert, kann eine Anziehungskraft entstehen. Ein neuer Laden wird vorzugsweise in jener Straße eröffnet, wo bereits andere Geschäfte florieren.
Das bedeutet auch, den Aufbau des Zusammenschluss sorgfältig zu planen – schließlich müssen die gemeinsame Ziele und die Strukturen der Zusammenarbeit gemeinsam entwickelt werden. Engagierte Beteiligte, die wie „Motoren“ das Netzwerk aufbauen und zum Laufen bringen, sind gerade in der Anfangsphase unerlässlich. Jeder der Beteiligten will mitgenommen werden.
Wie aber lässt sich der Nutzen vermitteln? Worin liegt der zentrale Vorteil eines Netzwerkes? Folgt man Sydow so ist es vor allem das zusätzliche Wissen, das im Netzwerk nicht bereit gestellt, sondern auch ständig erweitert und neu geschaffen wird und zu denen die einzelnen Mitglieder sonst gar keinen Zugang hätten.
Der Austausch sorgt so dafür, dass Synergien genutzt werden, zusätzliche Kompetenzen ausgebildet und auch Innovationen erst ermöglicht werden.
Viele der Vorteile von Netzwerken haben auch ihre vage Seite, die sich schnell zum Nachteil der Netzwerkorganisation auswachsen können. Sind Verbindlichkeiten beispielsweise wenig geregelt und informell geprägt, so ist die Sicherheit des Netzwerkes eher gering. Je mehr Verbindlichkeiten und Regelungen es jedoch gibt, umso mehr muss jeder Einzelne die Kontrolle über das vermeintlich richtige Vorgehen abgeben und eben auch Kompromisse eingehen. Der gemeinsame Verbund ist dann der Handelnde und nicht mehr nur einer der Netzwerkpartner. Dies kann auch zur Folge haben, dass sich Netzwerk-Mitglieder in ihren Kernkompetenzen eingeschränkt fühlen.
Aushandeln und Kommunizieren
Der Netzwerkaufbau ist ein Prozess des Aushandelns – es müssen Ziele definiert werden, gemeinsame Vorgehensweisen vereinbart werden, eine offene und transparente Kommunikation gepflegt werden. Gefordert sind da hohe kommunikative Kompetenzen, über die nicht jede und jeder selbstverständlich verfügt. Michael Gleich bringt es auf den Punkt, wenn er beklagt, dass wir alle nicht zum Netzwerker ausgebildet wurden. Wer nicht von der Entwicklung überrascht werden will, sollte Zeit und Energie in das Netzwerkmanagement investieren oder sich professionelle Beratung und Unterstützung holen.
Eine zentrale Aufgabe der Netzwerksteuerung ist, für eine transparente und offene Kommunikation unter den Beteiligten zu sorgen. Der Austausch untereinander und das Ringen um Verständigung müssen als Prozesse verstanden und gelebt werden. Das Wissen der einzelnen Organisationen muss in das gesamte Netzwerk transferiert werden, damit alle daran teilhaben können. Jede Information, auch wenn sie noch so unwichtig erscheint, darf nicht nur an einen Netzwerk-Partner gesendet werden, sondern muss allen Beteiligten gleichermaßen zugänglich gemacht werden.
Das bedeutet auch, dass jeder Partner seine Kompetenzen, Leistungen, Ansichten, Probleme und Wünschen offen legen und vermitteln muss. Netzwerke leben daher in erster Linie von der Qualität, die unsere persönlichen Beziehungen entscheidend bestimmt: vom Vertrauen. Im Netzwerk geht es dabei weniger darum, einzelnen Personen zu vertrauen, sondern dem System Netzwerk. Vertrauen aber ist eine Qualität, die nicht einfach vereinbart werden kann – sie muss erfahren werden. Erlaubt aber ist es – und häufig sogar äußerst notwendig – , dass die zentralen Manager des Netzwerks (oder eben die eingebunden Moderatoren) einzelne Schritte der gelungenen Kooperationen für alle deutlich machen.
Vertrauen als Vorleistung
Geben und Nehmen sind gleich, sagen Philosophen. Oftmals trauen wir dieser Lebensweisheit im Alltag nicht. Und so stellt die Netzwerk-Idee unsere Fähigkeit zu vertrauen auf eine harte Probe. Schließlich gibt jeder Beteiligte Wissen ab und somit auch die Kontrolle, wie die Informationen von den anderen Netzwerk-Partnern genutzt werden. Es liegt auf der Hand, dass die Akteure Kosten und Nutzen des Zusammenschlusses immer wieder abwägen. Eine zentrale Frage ist dann: „Erhalten die Netzwerk-Mitglieder für ihr Engagement und das Einbringen ihres Wissen langfristig jeweils genügend Gegenleistung?“
Netzwerke basieren grundsätzlich auf einem Gleichgewicht von Geben und Nehmen. Auf die Dauer ist es daher für das Funktionieren des Netzwerkes auch wichtig, jene, die nur nehmen, aber nicht geben wollen – „Netzwerk-Schmarotzer“ -, zu benennen und zu sanktionieren. Echte Partnerschaft gelingt nur, wenn jeder Beteiligte auch nur den Nutzen aus dem System für sich entnimmt, den er durch sein Engagement ins Netzwerk auch einbringt.
Auch ein Netzwerk von verschiedenen Organisationen ist ein feinverwobenes Netz aus persönlichen Beziehungen. Für das Gelingen des Netzwerkes ist es daher ein großer Vorteil, wenn dabei die beteiligten Personen nicht häufig wechseln, sondern kontinuierlich eingebunden werden können. Um Einzelne zu entlasten, können die beteiligten Institutionen auch einen kleinen Kreis von Vertretern in das Gremium schicken. Sie sollten jedoch in ihren Organisationen gut eingebunden sein, dass die von ihnen vermittelten Entscheidungen des Netzwerks auch in der jeweiligen Unternehmung akzeptiert werden.
Wahl der geeigneten Partner
Am Anfang steht immer eine Idee – es ist der erste Schritt, um ein Netzwerk aufzubauen. In der Startphase geht es darum, gemeinsam die Ziele abzuklären, geeignete Partner einzuladen und sich gegenseitig zu prüfen sowie die Chancen und Risiken eines Verbundes gemeinsam auszuloten. Verständigt man sich auf ein gemeinsames Netzwerk, so ist im nächsten Schritt zu klären, wie man zusammen arbeiten will, was die Einzelnen beitragen können und wie offen der Verbund sein soll. Sind diese grundlegenden Fragen geklärt, kann erst die eigentliche Konstituierung – etwa mit einer Kick-off-Veranstaltung – erfolgen. Zum Gründungsakt gehört auch, dass die Ziele konkret vereinbart werden und der Grad der Organisation für alle transparent festgelegt ist. Auch sollten die „Spielregeln“ – beispielsweise zur Konfliktbearbeitung – bereits ausgehandelt sein.
Nach der Gründungsphase tritt das Netzwerk dann in seine eigentliche Arbeitsphase. Die Beteiligten verständigen sich darauf, wer im Netzwerk welche konkreten Arbeiten übernimmt. So lassen sich gemeinsame Ziele arbeitsteilig in Workshops und Arbeitsgruppen bearbeiten. Wichtig ist auch, der Pflege der Beziehungen genügend Raum und Zeit einzuräumen. In dieser Phase muss das Vertrauen gestärkt werden, dass das Netzwerk funktioniert und für alle Beteiligten von Vorteil ist. Eine Evaluation sollten den gesamten Prozess als Qualitätskontrolle begleiten. Die Evaluation bildet damit die Grundlage, immer präziser und effektiver zu arbeiten. Notwendige Veränderungen – etwa in der Organisation oder der Kommunikation – können so rechtzeitig erkannt und eingeleitet werden.
Die Veränderungen und Anpassungen müssen natürlich in das Arbeiten des Netzwerkes integriert werden. Es empfiehlt sich, auch das Auflösen eines Netzwerkes offensiv zu gestalten und die Zusammenarbeit nicht einfach auslaufen zu lassen. Mit einem formellen Akt, einer Festveranstaltung, einem abschließenden Workshop lässt sich der Wert der Zusammenarbeit nochmals deutlich machen und würdigen.
Literatur/ Links:
Michael Gleich (2002): Web of Life. Die Kunst vernetzt zu leben, Verlag Hoffmann & Campe
Kreuter, Hansheinz et. al. (2005): Transferhandbuch zur Netzwerkarbeit. Dokumentation des Modellprojekts „Vernetzungskonzept von Bildungseinrichtungen und Anstellungsträgern für Weiterbildungsarrangements in NRW und Sachsen-Anhalt“. Im Internet: http://www.blk-lll.de/
Sydow, Jörg (2003) (Hrsg.): Management von Netzwerkorganisationen, Beiträge aus der „Managementforschung“. Gabler/ Westdeutscher Verlag, Wiesbaden
Werner, Susanne: Partnerschaft mit Konkurrenten – zur Struktur und zum Aufbau von Netzwerken (2006) in: Qualität ist kein Zufall! Konzepte ur Qualitätsentwicklung und pädagogischen Umsetzung für den Lernort MTA-Schule, S. 39-54 (Mensch & Buch Verlag, Berlin
Teller, Matthias, Longmuß, Jörg (2007): Netzwerkmoderation: Netzwerke zum Erfolg führen. Ziel-Verlag, Augsburg
Folien Satz zum peb-Fachtag „Gemeinsam weniger einsam“ am 6.Juni 2024 in Berlin: Workshop06072024